Foto: Chr. Bosch

Winter – das ist die Abwesenheit der Vögel. Ihr Gesang fehlt uns genauso wie das Licht. Beim Licht helfen wir uns mit Kerzen, Raketen zu Silvester und dem schnöden elektrischen Licht. Für den Ton haben wir eine Birdy Box im Flur direkt hinter der Eingangstür hängen. Die reagiert auf den Wechsel von Schatten und Licht. Fast so wie die Vögel am frühen Morgen. Diese künstlichen Vogelstimmen begrüßen und erfreuen uns. Mittlerweile wünschen wir ihnen sogar eine gute Nacht, wenn sie nach dem letzten Ausknipsen der Beleuchtung im Bad ein letztes Mal vor der Nachtruhe singen.

Jetzt kehren die Zugvögel zurück und mischen mit den ausharrenden Standvögeln ihre Gesänge. Ihr Zwitschern läutet den Frühling ein, ihr Gesang bezaubert uns, ihr Flug weckt Sehnsucht. Das ist Frühling. „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ In diesem Sinne bilden die Vögel neben der Schrift eine Inspiration für ein aufstehendes Leben. Wie die Engel verbinden die Vögel Himmel und Erde, doch anders als jene sind diese irdische sichtbare Wesen, denn anders als jener ist der Himmel der Vögel auch immer noch ein Teil der irdischen Atmosphäre.

Und dennoch kann man die Vögel gewissermaßen als die Mystiker der Tierwelt bezeichnen. Mehr als Darwin ihnen gewährt, zu singen und zu balzen, mehr als notwendig, um sich den Lebensraum zu ersingen und die Weibchen zu locken, pfeifen, klopfen und rufen sie, bauen ihre Nester und tragen ihr Federkleid. So ziehen sie unsere Gedanken himmelwärts, frei von aller Erdenschwere, geben sie auch den Menschen eine Ahnung von den Aufwinden, die sie tragen, und wecken die Sehnsucht nach Freiheit.

Jährlich fordert der Naturschutzbund die Menschen zwei Mal auf, die Vögel oben am Himmel und unten in den Gärten zu beobachten. Zur Stunde der Gartenvögel und zur Wahl des Vogels des
Jahres sind wir aufgerufen, uns zu beteiligen. In dieser Misswahl der Vögel wurde im letzten Jahr der Wiedehopf erkoren. Für Menschen in Sachsen-Anhalt ist es nicht unwahrscheinlich, diesen zauberhaften Botschafter der Vogelwelt mit seinem goldgelb-orangenen Federkamm und dem Hup-hup-Ruf, der ihm den Namen gab, in der Balz zu entdecken.

Picasso, der Taubenfreund, fragte mal: „Jeder möchte die Kunst verstehen. Warum versucht man nicht die Lieder eines Vogels zu verstehen?“ Welche Botschaft es ist, die wir im Frühling als die Kunst der Vögel vernehmen? Höhenflug und Überschwang sind es nicht. Wenn wir im wahrsten Sinn eine „Vogelperspektive“ einnehmen, dann ist es eher die Weise Franz von Assisis: „Meine Brüder Vöglein, gar sehr müsst ihr euren Schöpfer loben, der euch mit Federn bekleidet und die Flügel zum Fliegen gegeben hat; die klare Luft wies er euch zu und regiert euch, ohne dass ihr euch zu sorgen braucht.“

Zeitweise Leichtigkeit, Kreativität und Vertrauen, wie sie von Jesus angesprochen werden, verweisen doch nur darauf, dass der Wille, das Leben zu erzwingen, die Menschen zu Käfigvögeln werden lässt. Willig gehorchen sie den Notwendigkeiten des Lebens, die die Not oftmals nicht wenden, sondern sie stumm und unfrei machen. Wenn ein Winter zu Ende geht und ein neuer Frühling aufspringt, sollten auch wir anfangen, uns mit der Auferstehung zu schmücken und das Lob Gottes zu singen. Leicht zu werden, vielleicht sogar mystisch.

Auf dem Weg des Jahres vom Winter zum Frühling und vom Sommer über den Herbst wieder zum Winter zeigen uns die Vögel, wie eitel vielfach das Sorgen ist. Schaut die Vögel unter dem Himmel an, damit Eure Seele leicht und frei und froh wird.

Es grüßt Sie herzlich,
Ihr Pfarrer Ralf Döbbeling