Foto: Johanna Olm

Runter vom Sofa und hinein in die Welt. Sich herumtreiben und erkunden, wie weit der Horizont noch entfernt ist. Viele von uns haben jetzt das Bedürfnis, so weit zu laufen, wie es nur irgend geht. Die Enge zu verlassen, viel draußen zu sein und Menschen zu treffen. Es fühlt sich frisch an, wie eine neue Freiheit. Heiß ersehnt. Kollektiv haben wir eine Erfahrung gemacht, die uns unerwartet mit Menschen über Länder und Kontinente, über Milieus und Schichten hinweg verbunden hat, auch wenn die Schwierigkeiten ungleich verteilt waren.

Und das Bedürfnis ist nun, die Weite zu genießen. Die Schwere, das Leid, die Angst zu vergessen und in Richtung der guten Aussichten zu streben. Weit, weit weg von all dem Dunklen in ein neues Licht. Zum Glück wird es Sommer. Zum Glück haben die Cafés und Biergärten wieder geöffnet. Zum Glück könnten wir verreisen. Nur der Horizont scheint die Grenzlinie zu sein und die verrückt sich ja stetig, wie wir alle wissen, abhängig davon, wo unser Standpunkt ist. Es sind gute Aussichten, dass wir unsere Horizonte erweitern können und vielleicht wollen wir jetzt auch gar nicht mehr dahin zurück, von wo alles im vergangenen Jahr losgegangen ist, bevor das alles über uns kam. Nicht nur Horizonte verschieben sich, sondern auch unser Standpunkt hat sich verändert. Wir wollen nicht voraus in die Vergangenheit ante Coronam.

Und doch ahnen wir, dass uns mit dem mitwandernden Horizont trotzdem eine Bestimmung begleitet. Wie ein Schatten. Wir sind Menschen. Begabt, begrenzt, gefährdet. Aufeinander angewiesen. Bedürftig nach Essen, Trinken, Schutz, Liebe, Vergebung. Und vielleicht hat sich unser Horizont
dahingehend geweitet, dass wir das Einengende nicht mehr ausgrenzen müssen. Wir wissen schmerzlich, wie verletzlich das Leben ist und wie sehr wir auf der Welt mit anderen verbunden sind.

Das Bild von Johanna Olm zeigt nicht irgendein Sofa auf irgendeiner Wiese, sondern im Oderbruch, an einem Grenzfluss. Auch unsere neue Freiheit wird an Grenzen stoßen. Wir brauchen Toleranz
und tragen Verantwortung. Wir schauen hinüber und beginnen, mit anderen zu fühlen. Sie sind uns ähnlicher als wir vielleicht dachten. Wir möchten mit ihnen das neu empfangene Geschenk des Lebens teilen. Gute Aussichten menschlicher zu werden.

Pfarrer Ralf Döbbeling