Kinder, Großeltern, Freunde, Sportskameraden, Geschwister, sogar die Zahnärztin; alle fehlen. Was uns fehlt ist eigentlich, wer uns fehlt. Menschen fehlen uns. Manche Gemeindeglieder, die sonst sonntäglich in der Kirche sind, habe ich schon wochenlang nicht mehr gesehen. Und ich vermisse sie. Achtung, Gemeinschaft, Gespräche fehlen.
Dabei ist mir die Notwendigkeit der Distanz vollkommen nachvollziehbar. Die jetzige Situation zeigt mir nur, wie wenig selbstverständlich Kontakte sind, wie wertvoll Begegnungen und Berührungen sind, die ich vorher selbstverständlicher genommen habe. Krisen sind schwerer auszuhalten, wenn keiner da ist.
Wenn mich in Zukunft jemand fragt: Was fehlt Dir? Und derjenige meint, ich könnte einen Mangel an Eisen, Bewegung oder Lebensfreude haben, dann werde ich an diese Zeit denken. Was im Frühjahr 2020 fehlte, waren die Menschen. Und auch zukünftig werde ich die Menschen suchen, wenn mir etwas fehlt.
Der Prediger im alten Testament spricht einen klugen Satz: „Zwei sind allemal besser dran als einer allein. Wenn zwei zusammenarbeiten, bringen sie es eher zu etwas. Wenn zwei unterwegs sind und hinfallen, dann helfen sie einander wieder auf die Beine. Aber wer allein geht und hinfällt, ist übel dran, weil niemand ihm aufhelfen kann. Wenn zwei beieinander schlafen, können sie sich gegenseitig wärmen. Aber wie soll einer allein sich warm halten? Ein einzelner Mensch kann leicht überwältigt werden, aber zwei wehren den Überfall ab. Noch besser sind drei; es heißt ja: »Ein Seil aus drei Schnüren reißt nicht so schnell.“ (Prediger 4, 9-12)
Deshalb ist es wichtig, wenn man sich in Neuland bewegt immer zu dritt zu sein, dann kann einer bleiben und einer Hilfe holen, wenn einer sich verletzt. Nur Beziehungen knüpft man nicht erst in Krisenzeiten. So wie man Beten nicht erst in der Not lernt. Damit sollten wir rechtzeitig beginnen und Menschen offen und freundlich begegnen und ihnen auch unsere schwachen Seiten zeigen. Die dritte im Bunde, sozusagen die rote Schnur, kann auch Gott sein, der dem Seil die Reißfestigkeit und wenn nötig auch die wieder anknüpfende Versöhnung ermöglichen kann.
Ich hoffe, dass wir bald wieder unbeschwert Gemeinschaft miteinander haben können. Doch bis dahin gibt es weiterhin unzählige Möglichkeiten, einander Zeichen unserer Freundschaft und Zuneigung zu geben, die nicht abgerissen sind. Nicht alles ist abgesagt. Sonne ist nicht abgesagt. Sommer ist nicht abgesagt. Baden ist möglich und Spielplatz wieder erlaubt. Beziehungen sind eingeschränkt, aber nicht abgesagt und Liebe auch nicht. Telefonieren ist nicht abgesagt ebenso wenig wie Briefe schreiben. Vieles, von dem wir sonst sagen, es fehle uns die Zeit dazu, ist nicht nur nicht abgesagt, sondern jetzt gerade besonders angesagt.
Als Jesus sich zu Himmelfahrt in sein Home Office zurückzog, hat er vorher die Jünger zu den Menschen gesandt: “Gehet hin und erinnert sie daran, dass ich bei euch bin alle Tage!” Wir bleiben in Verbindung!
Ralf Döbbeling