Blicke auf mein Leben.
(nach Lukas 18,9-14)
Zum Jahresende ziehen wir Bilanz. Dies passt aber auch schon in den Advent. Advent hat die Farbe Violett, die Farbe der Bilanz (Buße) und Umkehr. Nach christlicher Tradition ist dafür die Zeit vor dem Weihnachtsfest vorgesehen. Doch feste Zeiten im Jahr sind oft nicht die Zeiten für unsere eigene Bilanz. Wir ziehen Bilanz nach einem Monat voller Entscheidungen, bei einem Wechsel der Arbeitsstelle, vor oder nach einem Umzug, am Abend des Lebens.
Manchmal zieht man Bilanz und fragt sich: Wie war das Leben? Und manchmal wird man auch gefragt nach seiner Bilanz. Wie ist Ihre Bilanz? Die fällt dann so oder so aus. Wenn es dann noch ein wenig stiller geworden ist, fragt man sich oder wird leise gefragt: Bereuen Sie etwas? Ich würde manches bereuen. Ich bin aber nicht berühmt. Viele vor den Kameras oder Mikrofonen sind auf diese Frage gefasst und antworten ohne Zögern: Nein, ich bereue nichts.
Ist diese Antwort mutig? Oder leichtfertig? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch nichts bereut.
Der Mann auf dem Bild kann es. Er sitzt in seinem Sessel, hat einen schönen Garten hinter der großen Fensterscheibe und ein Glas Wein in der Hand. Freundlich lächelnd beantwortet er die Frage: „Bereuen Sie etwas?“ mit ziemlich fetten Buchstaben und einem Ausrufungszeichen: „Ich bereue nichts!“ Etwas deutlich leiser kommen Worte des Bedauerns aus seinem Mund: „Aber es war ja auch nichts los.“
Dann ist es leicht, nichts zu bereuen. Wer nichts tut, kann auch wenig falsch machen. Wer sich nur still zurücklehnt im Leben, wird wenige oder gar keine Fehler machen und kaum Schuld auf sich laden. Es sei denn die Schuld, auch das Gute unterlassen zu haben.
Wer Bilanz zieht, braucht dafür einen Spiegel, einen inneren Spiegel. Wir brauchen ein Maß, an dem wir unser Leben messen. Das Maß können wir nicht selbst sein. Wir brauchen ein Maß außerhalb unserer selbst. Jede Rechenschaft verlangt ein Gegenüber.
Für Christen und Christinnen ist es Gott, an dessen Willen sie ihr Leben und Handeln prüfen.
Wer nichts bereut, fürchtet sich vor dem Eingeständnis, fehlerhaft zu sein. Würde er bereuen, hätte es ja Fehler gegeben. Die gesteht man ungern ein. Vor Gott darf man es nicht nur, man soll es auch.
Nichts ist schlimmer als der Mann im Gleichnis, der vor Gott steht und ihm aufzählt, wie gut er ist. Dann schon lieber, sagt Jesus, der andere Mann, der etwas weiter weg steht und zu Gott nur sagt: Gott, sei mir Sünder gnädig. Dieser Mann geht getröstet und gestärkt nach Hause, denn er weiß um seine Schuld vor Gott. Und um Gottes Vergebung. „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“, sagt Jesus, „und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ (Lukas 18,14) Jesus bittet uns geradezu, unsere Bilanz nicht zu fälschen und vor Gott nicht nur so zu tun, als wären wir rundum in Ordnung. Hilfreicher ist es, vor Gott ehrlich zu sein zu sich selbst und zu gestehen, dass dies oder jenes falsch war und man anderen damit weh getan hat. Mit meinem Bekenntnis öffne ich Gott die Tür, durch die er mein belastetes Herz erreicht und mir vergeben kann. Vergebung macht vieles leichter, wenn ich zurückblicke. Vergeben macht mich leichter. Jedes Geständnis ist eine Ermöglichung von Liebe. Liebe, die Gott schenken will. Und sie soll ankommen. Deshalb ist Gott Mensch geworden und hat uns in Jesus seine Vergebung geschenkt. Schonungslose Bilanz ist möglich. Wir brauchen uns nicht zu fürchten. „Fürchtet euch nicht, den Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.“
Pfarrer Helmut Becker