„Wir werden nicht nackt dastehen, wenn wir einmal unser Zelt in dieser Welt verlassen müssen.“ (Basis Bibel)

Mein Großvater war Maurermeister. Er verstand etwas von Häusern und wie man sie baut.
Meine Großmutter war Schneiderin. Sie verstand etwas von Kleidung und wie man sie näht.

Mörtel fügt die Steine zusammen. Zum Sockel. Zur Mauer. Zum Haus.
Fäden fügen die Stoffe zusammen. Zu Bahnen. Zu Hälften. Zum Kleid.

Mit Maurerkelle und Wasser und Zement hat er Hand angelegt.
Mit Schere und Nadel und Faden hat sie Hand angelegt.

Ich war ihm dankbar. Ich konnte sicher wohnen.
Ich war ihr dankbar. Ich konnte warm leben.

Er ist umgezogen. Vor zwanzig Jahren. Die weißen Rosen auf seinem Grab waren steif gefroren vom Frost. Statik bis zum Schluss. Nun wohnt er bei Gott dem Baumeister der Welt.

Sie ist umgezogen. Vor sechs Jahren. Die roten Rosen auf ihrem Sarg umspielten sie wie ein Kleid. Dynamik bis zum Schluss. Nun lebt sie bei Gott. Dem Schneidermeister des Himmels.

Dorothea Vogel
(Kloster Drübeck, Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 14.11.2021)