27. Sep. 2023 | Allgemein, Angedacht
Sorgt euch nicht! Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. (Mt 6,25a.26a)
Mir geht es gut. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche, was für ein Schatz. Dafür bin ich dankbar. Ich bin Gott dankbar für seinen Segen.
Vielen geht es so. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die dankbar sind. Sie sind dankbar für ihr Leben und für den reichen Segen Gottes, dass er uns das schenkt, was wir zum Leben brauchen. Wenn wir ernten, können wir uns das bewusst machen. Wir staunen über alles, was gewachsen und geworden ist: im Garten, bei der Arbeit, im Lernen, beim Basteln, in der Begegnung, im Miteinander. Das ist ein schöner Moment, wenn wir uns Zeit nehmen für diese Schätze. Im Herbst können wir Segen schmecken, wenn wir eine frische Weintraube in den Mund stecken oder in einen saftigen Apfel beißen.
Der Herbst ist aber nicht nur die Zeit der Ernte und Dankbarkeit. Mit dem Herbst kommt mehr Dunkelheit ins Leben: Die Tage werden kürzer, die Sonnenstunden schwinden. Wir blicken zurück in den Sommer und die erste Jahreshälfte. Dabei fragen wir: Was ist alles geworden in diesem Sommer, in diesem Jahr und wo geht es hin? Ein neues Schuljahr, ein neues Ausbildungsjahr, ein neues Semester… Was nehme ich mit und was würde ich gern hinter mir lassen? Welche Sorgen habe ich dabei?
Überall auf der Welt gibt es auch Menschen, die sich sorgen, besonders dort, wo Gewalt und Krieg Städte und Leben zerschlagen, oder dort, wo Menschen hungern. Es gibt so viel Grund zur Sorge. Sorge um das eigene Leben oder das von liebgewordenen Menschen, Sorge um Essen und Trinken, um das Alltägliche und um das Große und Ganze. Wo werde ich heute Nacht schlafen? Bin ich dieser Aufgabe gewachsen? Wie nehme ich Abschied, wenn sich der Herbst des Lebens ankündigt?
Jesus spricht uns zu: Sorgt euch nicht! Er spricht es zu denen, die säen und ernten und Schätze sammeln. Er spricht es zu denen, die sagen: „Mir geht es gut.“ Sie sollen und dürfen sich freuen. Sie können dankbar sein und feiern. Sie müssen sich nicht sorgen, für sie wurde gesorgt. Er spricht es auch zu denen, die sagen: „Wie soll es nur weitergehen?“
„Werft eure Sorgen auf mich, vertraut euch mir an. Eure Sorgen sind wahr und wichtig. Ich höre sie und ich verheiße euch Frieden. Auch ihr dürft eure Sorgen loslassen, wenigstens für den Moment. Ich bin bei euch alle Tage, ob lang oder kurz und besonders in tiefster Nacht.“
Fridolin Wegscheider
19. Apr. 2023 | Allgemein, Angedacht
Foto: Chr. Bosch
Winter – das ist die Abwesenheit der Vögel. Ihr Gesang fehlt uns genauso wie das Licht. Beim Licht helfen wir uns mit Kerzen, Raketen zu Silvester und dem schnöden elektrischen Licht. Für den Ton haben wir eine Birdy Box im Flur direkt hinter der Eingangstür hängen. Die reagiert auf den Wechsel von Schatten und Licht. Fast so wie die Vögel am frühen Morgen. Diese künstlichen Vogelstimmen begrüßen und erfreuen uns. Mittlerweile wünschen wir ihnen sogar eine gute Nacht, wenn sie nach dem letzten Ausknipsen der Beleuchtung im Bad ein letztes Mal vor der Nachtruhe singen.
Jetzt kehren die Zugvögel zurück und mischen mit den ausharrenden Standvögeln ihre Gesänge. Ihr Zwitschern läutet den Frühling ein, ihr Gesang bezaubert uns, ihr Flug weckt Sehnsucht. Das ist Frühling. „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ In diesem Sinne bilden die Vögel neben der Schrift eine Inspiration für ein aufstehendes Leben. Wie die Engel verbinden die Vögel Himmel und Erde, doch anders als jene sind diese irdische sichtbare Wesen, denn anders als jener ist der Himmel der Vögel auch immer noch ein Teil der irdischen Atmosphäre.
Und dennoch kann man die Vögel gewissermaßen als die Mystiker der Tierwelt bezeichnen. Mehr als Darwin ihnen gewährt, zu singen und zu balzen, mehr als notwendig, um sich den Lebensraum zu ersingen und die Weibchen zu locken, pfeifen, klopfen und rufen sie, bauen ihre Nester und tragen ihr Federkleid. So ziehen sie unsere Gedanken himmelwärts, frei von aller Erdenschwere, geben sie auch den Menschen eine Ahnung von den Aufwinden, die sie tragen, und wecken die Sehnsucht nach Freiheit.
Jährlich fordert der Naturschutzbund die Menschen zwei Mal auf, die Vögel oben am Himmel und unten in den Gärten zu beobachten. Zur Stunde der Gartenvögel und zur Wahl des Vogels des
Jahres sind wir aufgerufen, uns zu beteiligen. In dieser Misswahl der Vögel wurde im letzten Jahr der Wiedehopf erkoren. Für Menschen in Sachsen-Anhalt ist es nicht unwahrscheinlich, diesen zauberhaften Botschafter der Vogelwelt mit seinem goldgelb-orangenen Federkamm und dem Hup-hup-Ruf, der ihm den Namen gab, in der Balz zu entdecken.
Picasso, der Taubenfreund, fragte mal: „Jeder möchte die Kunst verstehen. Warum versucht man nicht die Lieder eines Vogels zu verstehen?“ Welche Botschaft es ist, die wir im Frühling als die Kunst der Vögel vernehmen? Höhenflug und Überschwang sind es nicht. Wenn wir im wahrsten Sinn eine „Vogelperspektive“ einnehmen, dann ist es eher die Weise Franz von Assisis: „Meine Brüder Vöglein, gar sehr müsst ihr euren Schöpfer loben, der euch mit Federn bekleidet und die Flügel zum Fliegen gegeben hat; die klare Luft wies er euch zu und regiert euch, ohne dass ihr euch zu sorgen braucht.“
Zeitweise Leichtigkeit, Kreativität und Vertrauen, wie sie von Jesus angesprochen werden, verweisen doch nur darauf, dass der Wille, das Leben zu erzwingen, die Menschen zu Käfigvögeln werden lässt. Willig gehorchen sie den Notwendigkeiten des Lebens, die die Not oftmals nicht wenden, sondern sie stumm und unfrei machen. Wenn ein Winter zu Ende geht und ein neuer Frühling aufspringt, sollten auch wir anfangen, uns mit der Auferstehung zu schmücken und das Lob Gottes zu singen. Leicht zu werden, vielleicht sogar mystisch.
Auf dem Weg des Jahres vom Winter zum Frühling und vom Sommer über den Herbst wieder zum Winter zeigen uns die Vögel, wie eitel vielfach das Sorgen ist. Schaut die Vögel unter dem Himmel an, damit Eure Seele leicht und frei und froh wird.
Es grüßt Sie herzlich,
Ihr Pfarrer Ralf Döbbeling
05. Apr. 2023 | Allgemein, Angedacht
Wir haben einen Lesekreis. In diesem Kreis haben wir ein Buch gelesen. Abgemacht war, monatlich eine gewisse Zahl an Seiten und Kapiteln zu lesen, um dann gemeinsam über das Gelesene zu reden. Es ging um Mystik und um Poesie, um Atem und Quantenphysik, um Islam und Jesus. Schließlich kamen wir auf den dunklen, geheimnisvollen Gott und das Opfer. Daran scheiden sich oft die Geister. Der Autor zitiert ausgerechnet Mahatma Gandhi, der behauptet: Religion ohne Opfer sei gesellschaftsschädlich. Gandhi meint das sinngemäß wohl so, dass ein Glaube ohne Konsequenzen kein gutes Vorbild sei. Noch schlimmer allerdings ist folglich Heuchelei. Wir beließen es nicht dabei, sondern diskutierten, welche Rolle das Opfer überhaupt in den Religionen spielt. Insbesondere ging es uns natürlich um den Tod Jesu am Kreuz. Ich will jetzt nicht nur auf die vorgetragenen Verständnisfragen eingehen, sondern durch ein paar Worte versuchen, das paradoxe Zeichen etwas zu erhellen.
Unsere Welt ist voller Kreuze und längst nicht alle haben eine christliche Bedeutung: Verkehrskreuzungen, Fensterkreuze und Orte wie Kreuzberg oder Kreuzvorwerk. Wir machen unser Kreuz auf den Lottoschein oder einen Wahlzettel oder setzen drei Kreuze als Ersatz einer Unterschrift unter einen Brief oder Vertrag.
Zugleich können wir die Spuren des Kreuzes als Spuren des Leides nicht übersehen. Viele Menschen und auch die anderen Kreaturen tragen ihr Kreuz. Dabei kommt das Kreuz als rechter Winkel in der Natur selten vor. Wir wissen nicht, ob Jesu Kreuz aus zwei Balken rechtwinklig zusammengefügt war. Vielleicht bog sich der Querbalken wie auf dem Bild des Isenheimer Altars oder der vertikale Balken endete am Querbalken wie beim Kreuz der Franziskaner. Wenn noch ein Corpus auf dem Kruzifix ist, so neigt dieser seinen Kopf oft zur Rechten. Das haben auch Kirchen in ihrem Grundriss aufgenommen, sodass der Chorraum sich aus der Sicht der Gemeinde dann natürlich nach links neigt.
Auf jeden Fall ist das Kreuz als Opfer keine Genugtuung für Gott. Er braucht kein Opfer, um seinen Zorn oder seine Enttäuschung über die menschliche Geschichte mit Blut zu stillen. Wenn ein Mensch – oft sehen wir das eher an Katholiken – ein Kreuz schlägt und dafür den Raum vom Kopf bis zum Geschlecht und von Herz und Hand ausmisst, dann stellt er sich in den Raum der Erlösung Christi. Alle Kräfte und Sehnsüchte, alle Versäumnisse und Verletzungen werden in den Raum der Erlösung Christi hineingenommen. Alles gehört zu Gott, nichts muss draußen bleiben.
Jesus mußte vom Alter her ja noch nicht sterben, als er starb, sondern er tat es, um den gewaltsamen, ungerechten Tod der Menschen aufzunehmen. Er trägt damit dazu bei, die Durchkreuzungen unserer Lebensfreude und Lebensziele erträglicher zu machen. Und er verwandelt den Tod aus einem nichtigen und endgültigen Schicksal zu einem Zeichen des Lebens. Denn die Menschen mussten Karfreitag ohne das Wissen um Ostern nur ein einziges Mal erleben. Danach kommen wir immer schon von der Auferstehung her.
Jesus hat nicht den Tod in Stein gemeißelt, sondern am Holz hinaufgetragen. Das Grab war zu Ostern leer und der Stein beiseite gerollt, aber das Kreuz zeugt von der überwindenden Kraft des Lebens. Die Auferstehung Jesu kann uns Flügel verleihen, uns aus dem Leid und der Kränkung zu erheben und schließlich von der rückwärtigen Sicht auf das Verlorene zurückzuschauen. So sind wir paradoxerweise durch ein Zeichen des Todes mit dem Leben verbunden und werden gesegnet.
Pfr. Ralf Döbbeling
15. März 2023 | Allgemein, Angedacht
Der Text zur vierten Fastenwoche findet sich in Mt 5, 14-16. „Ihr seid das Licht der Welt“ – was kann das heute heißen? Und was hat das mit den schwindenden Mitgliederzahlen der Kirchen zu tun? Dieser Frage geht der aktuelle Impuls in der Fastenaktion der Evangelischen Kirche nach.
01. März 2023 | Allgemein, Angedacht
Bei der Fastenaktion der evangelischen Kirche „7 Wochen ohne“ wirft die zweite Woche einen Blick auf das, was verzagen lässt. Wie groß und berechtigt Ängste sein können, zeigt die biblische Geschichte von David und Goliath. Wie gelang es David, die Verzagtheit zu überwinden und schließlich Goliath zu besiegen? Und was können wir aus der Geschichte für unsere eigenen Ängste mitnehmen? Diesen Fragen geht der zweite Fastenbrief nach.
18. Jan. 2023 | Allgemein, Angedacht
„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ (1. Korinther 13,12)
Wenn wir Gott in einem (dunkleren oder klareren) Spiegel sehen, heißt das, Gott steht hinter uns.
Und wir sehen sein Angesicht, ihn von vorne;
von Angesicht zu Angesicht,
aber vermittelt durch einen Spiegel.
Die Geistesgaben sind wie Spiegel,
spiegeln Gottes Wirklichkeit wider,
zeigen in Facetten auf, wie Gott ist und wirkt und liebt,
brechen Gottes Licht in unser Leben hinein,
bilden ab, wie Gott sich uns zeigen möchte,
zeigen nur eine Seite und eine Momentaufnahme Gottes,
denn Gott ist immer größer,
als dass wir ihn in unserem menschlichen Spiegel ganz erkennen könnten.
Aber Gott gibt sich von vorn, also zugewandt zu erkennen.
Gott spiegelt sich in der Liebe.
Und wenn Gott diese Welt vollenden wird, blicken wir direkt in Gottes Angesicht,
erblicken wir die Liebe.
Bis dahin strahlt Gottes Liebe in den Geistesgaben in unsere Welt hinein.
Dorothea Vogel