Messias

Händels Oratorium „Messias“ wurde am 13. April 1742 in Dublin uraufgeführt. Und 280 Jahre später, während der 100. Händelfestspiele in Halle (Saale) wird es am 28. Mai 2022 wieder aufgeführt.
Ja, haben wir denn schon wieder Weihnachten? Der Chor wird singen: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ Das klingt doch weihnachtlich und nicht nach Pfingsten. Oder?

Ich will Sie nicht unnütz mit Wissen quälen, doch tatsächlich hat Händel den Messias stets in der Fasten- oder Osterzeit auf den Spielplan gesetzt. Das geschah entsprechend des Gesamtumfangs, der sowohl die Prophezeiung und Geburt als auch die Passion und die Auferstehung Jesu inszeniert. Oft wurde es aber schon damals in seine Teile zerlegt und es wurden daraus zur Weihnachtszeit Weihnachts- und zur Osterzeit Osterkonzerte gemacht, die nur die jeweiligen Stücke zur Geburt oder Auferstehung zur Aufführung brachten. Aus der Geschichte ist also widerlegt, man dürfe den Messias nur bei Kälte und im Dunkeln hören.

Es geht mir aber gar nicht um Ihre Hörgewohnheiten. Wenn schon Händel die komplette Jesusgeschichte in einem Oratorium erzählt, müssen wir uns vielleicht fragen, ob nicht auch die zugegeben besondere Person gar nicht alles verkörpert, was die Prophetie an Erwartungen weckt. WunderRat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst sind wie Immanuel zumindest nicht zu Eigennamen Jesu geworden. Es sind vielmehr acht Erwartungen, die wir bis heute an seine Regentschaft knüpfen dürfen.

Gott sendet einen Messias, um Frieden zu schaffen, unverbrüchliche Treue zu verkünden und heilende Tröstung zu bringen. Das ist tatsächlich nur der Anfang. Wir dürfen mehr erwarten. Für uns und von uns. In uns klingen beim Hören Wünsche an, die wir hegen. Die Friedenssehnsucht muss gerade nicht noch vertieft werden, aber der Weg dahin schon. Um Shalom wird gerungen und in  Friedensgebeten gebeten.

Auch hier eine geschichtliche Richtigstellung: Jesus hat für sich nicht die vollkommene Erfüllung der Prophezeiung in Anspruch genommen, er hat als Fortsetzung seines Tuns den heiligen Geist,
den wunderbaren Rat, den kommenden Tröster versprochen und teilt sich mit ihm die Erfüllung der Prophetie. So dürfen wir uns in die Prince-of-peace-school einschreiben und gemeinsam Frieden
stiften üben. Indem wir Gewalt und Vorurteile überwinden. Gottes Geist kann uns befähigen, den Weg des Friedens auch nach Rückschlägen fortzusetzen. Ein Wort, eine Geste, eine Unterstützung
können viel bewirken.

Es wird wie ein Wunder oder eine Heldentat aussehen, wenn es gelingt. Aber wer hätte dem kleinen Kind in Bethlehem zugetraut, eine solche Wirkung zu erzielen? Warum nicht uns, in der Kraft
der Auferstehung die Angst zu überwinden und dem Heiligen Geist in uns vertrauen, Größeres zu bewirken?

Händel hat die Prophezeiung der guten Herrschaft dem Chor auf die Schultern und die Stimmbänder gelegt und nicht den Solisten. Wir können einstimmen.

Es grüßt Sie herzlich,
Ihr Pfarrer Ralf Döbbeling

Angedacht: Was ist mein Platz?

Gedanken zum diesjährigen Predigttext des Sonntags Judika (Markus 10, 35-45)

Das Brüderpaar Jakobus und Johannes ging mit einer Bitte auf dem Herzen zu Jesus. Einer Bitte, die ihre Zukunft, die ihren Platz betraf.
„Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.“ Jesus sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich für euch tue?“ Sie sprachen zu ihm: „Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.“

Ein großer Wunsch. Eine unverschämte Bitte. Sie wird zurückgewiesen.
Aber nicht die beiden Menschen. Sie werden angewiesen. Ja, Jesus weist ihnen einen Platz an. Aber nicht in der Herrlichkeit, nicht oben, sondern unten.

An diesem Unten kann ich mich stoßen. Es kann mich hinabwürdigen.
Am Dienensollen kann ich wund werden. Es kann mich zerbrechen.

Und es gibt ein Unten mit Würde und im Rahmen meiner Möglichkeiten.
Statt zu sagen „sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein“, könnte es heißen: Wer groß sein will, sollte großzügig sein. Und wer der Erste sein will, sollte ein Ersthelfer sein, wie einer, der Erste Hilfe leistet, wenn es gerade gebraucht wird.
Das ist für mich ein Unten, wie es gelebt werden kann.

Meine Prüffrage lautet: Dient es meiner oder meinem Nächsten, was ich sage oder tue? Dienst es, was ich denke oder weglasse, zum Leben?

Es gelingt mir natürlich nicht so oft, wie ich es gerne hätte.
Die Frage wiederum dient mir als Richtschnur.

Und ich kann auch nicht allein aus mir heraus dienlich sein.
Da brauche ich eine Rückbindung. Da brauche ich ich einen Platz, der mir Rückhalt gibt, mein Herz weit macht und meine Hände frei zum Handeln.

Für mich ist dieser Platz am Kelch. Der Kelch im doppelten Sinn.
Der Kelch als Gedächtnis des Abendmahles, das Jesus stiftete. Der Kelch, der uns vereint am Tisch des Herrn. Als Kelch der Gemeinschaft.
Und als Kelch des Leids – „gefüllt bis an den höchsten Rand“ – steht er symbolisch für die Passion Jesu. Wir erinnern uns in der Passionszeit an Jesu Leiden, Hingabe und Opfertod. Sein Kelch des Leids wird zum „Lösegeld für viele“. Der Kelch als Gedächtnis des Kreuzes.

Heute ist mein Platz am Kelch, der beides vereint: Abendmahl und Kreuz.

Der Kelch erinnert mich: Jesus diente uns, damit wir einander dienen können.

Dorothea Vogel

Angedacht: Guter Rat eines Freundes

Auf der Ikone von Jesus und seinem Freund – auf dem Bild ein Druck aus Taizé in der Petruskirche , wo man in der offenen Kirche sich an diesem Platz mit Jesus befreunden kann – sieht man auf den ersten Blick eine ungewohnte Szene. Jesus legt den Arm um Menas, der, wenn man den historischen Forschungen glauben darf, zunächst römischer Soldat und nach seiner Konversion zu einem Freund und Nachfolger Jesu wurde und als Eremit in Ägypten lebte, bis er um 300 n. Christus starb.

Es ist ein schönes Bild, wenn Jesus seinem Freund so die rechte Hand auf die Schulter legt. Es ist eine Beziehung auf Augenhöhe und beiden scheint es zu gefallen. Obwohl der eine – ausgedrückt durch das Buch – mehr Würde in die Beziehung einbringt als der andere, der nur eine kleine Papierrolle in der Hand hält. So scheint doch der vermeintlich Geringere den anderen mit seiner Rechten zu segnen.

Nur wie kann ich mir eine solche Befreundung wirklich vorstellen. Tun wir mal so, als hätten beide in echt miteinander gesprochen.

Jesus: Hallo Menas! Sei gegrüßt. Friede sei mit Dir. Wie geht’s?

Menas: Und auch mit Dir. Ich meine: Friede sei auch mit Dir. Gut, ich kann nicht klagen.

Jesus: Das hört sich ja fast wie bei meinen Freunden, den Germanen an. Nicht geklagt, ist genug gelobt. Hast Du tatsächlich Kummer?

Menas: Nein, nicht wirklich. Mich beschäftigt nur eine Frage seit einiger Zeit.

Jesus: Und die wäre? Trau Dich und stell sie. Komm schon!

Menas: Bitte verstehe mich richtig und sei bitte nicht sauer.

Jesus: Menas, wir sind doch Freunde. Und Du weißt, so zimperlich bin ich nicht. Da habe ich schon ganz anderes erleiden müssen. Raus damit.

Menas: Du bist mein Freund. Stimmt’s?

Jesus: Stimmt!

Menas: Ich bin stolz darauf, Du bist wahrscheinlich der, von dessen Freundschaft ich mich am meisten geschmeichelt fühle.

Jesus: Hör auf, mir Honig um den Bart zu schmieren. Sag endlich, wo die Sandale drückt.

Menas: Es sind Deine anderen Freunde. Wie die Pharisäer schon richtig bemerkt haben, bist Du nicht eben wählerisch in der Wahl Deiner Freunde. Ich zitiere: „Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen.“

Jesus: Stimmt, so war’s. Und ich würd´s wieder tun. Hat lecker geschmeckt und so waren die Höhepunkte meines Lebens die Begegnungen mit diesen Menschen.

Menas: Aber dann muss ich doch denken, dass ich nur durch die späte Geburt davor bewahrt worden bin, damals mit Dir in schlechter Gesellschaft von Verrätern, Prostituierten und ungewaschenen Tagelöhnern am Tisch sitzen zu müssen.

Jesus: Stimmt wiederum. Menas, Du ziehst Deine Schlüsse messerscharf. Ich pflege, mehr die Menschen als die Vorschriften zu achten. Ich liebe es, Menschen neue Wege zu eröffnen. Und ein bisschen freut es mich auch, wenn die braven, frommen, gesetzestreuen sich darüber aufregen. Dann muss ich manchmal schmunzeln. Und sie haben eine Denkaufgabe.

Menas: Siehst Du in mir denn eher den Kriegsdienstverweigerer, der seinem Leben eine gute Wende gegeben hat, oder den Sünder, der immer noch andere verachtet, weil sie anders sind als ich?

Jesus: Was wäre Dir denn lieber?

Menas: Ich bin Abbas Menas und bin ein rechtschaffener Mensch und Christ.

Jesus: So, so. Und wozu brauchst Du meine Freundschaft?

Menas: Du meinst, ich muss mich erst mit meinem Schatten befreunden, bevor ich Deine Freundschaft richtig schätzen kann?

Jesus: Ist das Deine Frage, die Du meintest, Menas? Ich glaube, Du bist ganz nah dran, eine große Erfahrung zu machen. Du versuchst gerade, dich selbst zu umarmen.

Menas: Aber ich will doch ein Guter sein. Dein Freund.

Jesus: Das bist Du auch, Menas. Du bist mein Freund. Und ich bin Deiner. Aber ich bin schon jetzt der Freund Deines alter ego. Sei Dir gegenüber freundlich. Nimm an, was Du jetzt kontrollierst.

Menas: Jesus, Du machst es Deinen Freunden gar nicht so leicht.

Jesus: Doch, mein Joch ist leicht, was Ihr Euch auferlegt ist schwer.

Menas: Hm, …

Dieses Gespräch hat so nie stattgefunden, aber es könnte zwischen uns und unserem Freund Jesus stattfinden.

Pfr. Ralf Döbbeling

Angedacht: „Macht hoch die Tür“

„Macht hoch die Tür“ – so singen wir zu Beginn des Advents. „Macht euch bereit!“ meint das. Jesus kommt in die Welt und er kommt zu dir. Öffnet ihm die Tür! Öffnet ihm euer Herz! „Macht hoch die Tür!“

Aber welche Tür macht man eigentlich „hoch“? Ich muss da unweigerlich an Garagentore denken. Die werden oft hochgezogen. „Mach mal das Tor hoch!“ Und so fern liegt die Verbindung nicht. Für manche beginnt dahinter das Allerheiligste. Dort steht es in der Garage, das „Heilig‘s Blechle“. So heißt es bei unseren schwäbischen Freunden zwar scherzhaft, aber da ist auch schon vielerorts Ernst dabei im Autoland Deutschland.

Ob nun Garagentor, Haus-, Schuppen- oder Zimmertür: Man schließt sie, damit Draußen draußen bleibt. Unter hinter der Tür da beginnt Drinnen, da beginnt das Eigentliche. Dort bist du Du. Da hast du es dir eingerichtet und schön gemacht. Da sind die Sachen, die dir wichtig sind. Da hast du deinen Platz. Drinnen, da zeigst du, wer du bist. Da weinst du, da lachst du, da trauerst du, da streitest du. Da sind die Menschen, die dir wichtig sind. Vielleicht legst du beim Reinkommen deine Maske ab. Hier musst du dich nicht verstellen. Hier bist du ganz du selbst. Hier läufst du in Jogginghose rum. Hier wird auch mal gekrümelt. Du räumst vielleicht nicht immer sofort auf, aber vielleicht hat hier auch alles seine Ordnung. Da weißt du, wo was liegt, oder wo es zumindest ungefähr sein müsste.

Hier herein lädst du nicht jeden ein, deine Freunde und Freundinnen aber bestimmt schon. Hier ist auch nicht immer alles perfekt und vorzeigbar. Da legst du die Füße vielleicht auch mal auf den Wohnzimmertisch. Da geht mal eine Zimmerpflanze ein. Da plünderst du abends vielleicht doch nochmal die Schokoladenvorräte. Da kriegt der Fußboden Kratzer und die Wand auch mal einen Fleck. Da hinterlässt du deine Spuren und da bewahrst du deine Erinnerungen auf. Da haben die Möbel eine Geschichte und die Bilder an der Wand erzählen von dir. Da wohnst du, da lebst du, da bist du zu Hause.

Und da will Jesus hinkommen. In dein Leben, in dein zu Hause, in dein Herz. Und ihm ist es egal, ob du aufgeräumt oder abgewaschen hast. Er braucht kein Gästezimmer und keine Doppelgarage, kein neues Bettzeug und du musst ihm auch keine Handtücher hinlegen. Wenn Jesus damals in einem Stall zur Welt kam, dann würde er heute wohl auch mit einer gammligen, vollgesprayten Hinterhofgarage Vorlieb nehmen. Ihm ist nur wichtig, dass du da bist. Er freut sich auf dich, so wie du bist.

Ich wünsch dir für diesen Advent Zeit zum Vorbereiten – denn Jesus kommt. Ich wünsche dir Ruhe zum Hören: Wo klopft er an? Und ich wünsche dir Freude beim Hoch- oder Aufmachen der Tür.

Einen gesegneten Advent wünscht
Ihr / euer Jakob Haferland

Gedanken zu 2. Kor 5,3

„Wir werden nicht nackt dastehen, wenn wir einmal unser Zelt in dieser Welt verlassen müssen.“ (Basis Bibel)

Mein Großvater war Maurermeister. Er verstand etwas von Häusern und wie man sie baut.
Meine Großmutter war Schneiderin. Sie verstand etwas von Kleidung und wie man sie näht.

Mörtel fügt die Steine zusammen. Zum Sockel. Zur Mauer. Zum Haus.
Fäden fügen die Stoffe zusammen. Zu Bahnen. Zu Hälften. Zum Kleid.

Mit Maurerkelle und Wasser und Zement hat er Hand angelegt.
Mit Schere und Nadel und Faden hat sie Hand angelegt.

Ich war ihm dankbar. Ich konnte sicher wohnen.
Ich war ihr dankbar. Ich konnte warm leben.

Er ist umgezogen. Vor zwanzig Jahren. Die weißen Rosen auf seinem Grab waren steif gefroren vom Frost. Statik bis zum Schluss. Nun wohnt er bei Gott dem Baumeister der Welt.

Sie ist umgezogen. Vor sechs Jahren. Die roten Rosen auf ihrem Sarg umspielten sie wie ein Kleid. Dynamik bis zum Schluss. Nun lebt sie bei Gott. Dem Schneidermeister des Himmels.

Dorothea Vogel
(Kloster Drübeck, Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 14.11.2021)

Angedacht: Säen und ernten

Die folgenden Gedanken stammen aus einer Predigt zum Erntedank-Sonntag, die Dorothea Vogel in Gemeinden im Kirchenkreis gehalten hat und uns freundlicherweise für den Newsletter zur Verfügung stellt.

Im 2. Korintherbrief Kapitel 9 Vers 6 heißt es: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.“

Der Vers spricht zum einen von der Landwirtschaft. Dort gibt es Aussaat, Ernte und Missernte. Zum anderen spricht er von der Gesellschaft. Auch dort gibt es Saat und Ernte. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, sagt ein Sprichwort. Man kann entscheiden, was man sät: Zwietracht oder Eintracht? Hass oder Liebe? Verletzung oder Vergebung? Das haben wir in der Hand.

Und auch wie wir säen: Kärglich oder reichlich? Das ist keine Frage von Sparsamkeit oder Reichtum. Es ist eine Frage der geistlichen Haltung.  Kärglich kann bedeuten, eine Aufgabe ohne innere Anteilnahme zu erledigen oder einem Pflichtgefühl zu folgen oder aus einem eigenen Mangel heraus zu handeln. Reichlich kann bedeuten, dass wir uns von Gott her als ausreichend versorgt verstehen. Weil er jeder und jedem von uns gibt, deshalb können wir geben. Gott macht uns reich, deshalb können wir weiterreichen. Wir können freigiebig sein. Wir können geben aus vollem Herzen und mit vollen Händen.

Und das meint nicht nur Geld. Wir können Zeit und Aufmerksamkeit verschenken; praktische Unterstützung geben oder jemanden ermutigen; einen Menschen in einer schwierigen Lebensphase begleiten oder ihm ein offenes Ohr leihen; für jemanden beten. So kommt es wie bei Aussaat und Ernte und erneuter Aussaat zu einem Kreislauf. Zu einem Segenskreislauf zwischen Menschen, zwischen Mensch und Gott – und zuerst zwischen Gott und Mensch. Unsere geistliche Haltung wirkt sich aus in Garten und Feld, in Familie und Beruf, in Gesellschaft und Staat, in Kirche und Gemeinde. Also in allen Lebensbereichen.

Zu säen bedeutet weiterzugeben und zu teilen. Doch wie können wir ernten, wenn wir etwas weitergeben? Wir ernten keine natürlichen Früchte. Wir ernten die „Früchte der Gerechtigkeit“. Unter „Gerechtigkeit“ wird in der jüdischen Tradition das Almosengeben verstanden. Die „Früchte der Gerechtigkeit“ sind folglich das, was auf unser Geben folgt. Unsere Spende bringt uns Freude und Verbundenheit mit den Bedachten.

Und sie bringt uns noch etwas: Dankbarkeit der Beschenkten – uns und Gott gegenüber. Und Gott wiederum wird uns so beschenken, dass wir Genüge haben. Das macht auch uns dankbar. Wenn wir im Segen säen, können wir im Dank ernten! Der Segenskreislauf ist auch ein Dankeskreislauf. Wo es auf den ersten Blick um den Ausgleich von Überfluss und Mangel geht, geht es auf den zweiten Blick um Dankbarkeit gegenüber Gott und allen Menschen.

Es ist eine Perspektive, hier und jetzt die leeren Hände anderer zu füllen. Es ist eine zweite Perspektive zu wissen, dass später bei Bedarf die eigenen leeren Hände gefüllt werden. Diese Idee von Kollekte hat in der christlichen Kirche eine lange Tradition, wie wir in den Korintherbriefen lesen können. Bei jedem Gottesdienst sammeln wir für eine bestimmte Arbeit, eine Organisation oder einen Bund. Nach der Sammlung wird oft gesagt: „Gott segne Geber und Gaben und die, die sie empfangen werden.“ So sieht „im Segen geben“ ganz praktisch aus. In diesem Segen sind Geber und Empfänger miteinander verbunden. In diesem Segenskreislauf vor Gott sind wir alle mal Empfänger, mal Geber. Immer wieder beides.